Matthias Jung


 

FeedWind

Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Hiob leidet 

Predigt am 27. Juli 2008 über Hiob 1,1-22

 

Der biblische Text

1 Es war ein Mann im Lande Uz, der hieß Hiob. Der war fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und mied das Böse. 2 Und er zeugte sieben Söhne und drei Töchter, 3 und er besaß siebentausend Schafe, dreitausend Kamele, fünfhundert Joch Rinder und fünfhundert Eselinnen und sehr viel Gesinde, und er war reicher als alle, die im Osten wohnten. 4 Und seine Söhne gingen hin und machten ein Festmahl, ein jeder in seinem Hause an seinem Tag, und sie sandten hin und luden ihre drei Schwestern ein, mit ihnen zu essen und zu trinken. 5 Und wenn die Tage des Mahles um waren, sandte Hiob hin und heiligte sie und machte sich früh am Morgen auf und opferte Brandopfer nach ihrer aller Zahl; denn Hiob dachte: Meine Söhne könnten gesündigt und Gott abgesagt haben in ihrem Herzen. So tat Hiob allezeit.

6 Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den HERRN traten, kam auch der Satan unter ihnen. 7 Der HERR aber sprach zu dem Satan: Wo kommst du her? Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen. 8 Der HERR sprach zum Satan: Hast du Acht gehabt auf meinen Knecht Hiob? Denn es ist seinesgleichen nicht auf Erden, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse.
9 Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Meinst du, dass Hiob Gott umsonst fürchtet? 10 Hast du doch ihn, sein Haus und alles, was er hat, ringsumher beschützt. Du hast das Werk seiner Hände gesegnet, und sein Besitz hat sich ausgebreitet im Lande. 11 Aber strecke deine Hand aus und taste alles an, was er hat: was gilt's, er wird dir ins Angesicht absagen! 12 Der HERR sprach zum Satan: Siehe, alles, was er hat, sei in deiner Hand; nur an ihn selbst lege deine Hand nicht. Da ging der Satan hinaus von dem HERRN.

13 An dem Tage aber, da seine Söhne und Töchter aßen und Wein tranken im Hause ihres Bruders, des Erstgeborenen, 14 kam ein Bote zu Hiob und sprach: Die Rinder pflügten und die Eselinnen gingen neben ihnen auf der Weide, 15 da fielen die aus Saba ein und nahmen sie weg und erschlugen die Knechte mit der Schärfe des Schwerts, und ich allein bin entronnen, dass ich dir's ansagte.
16 Als der noch redete, kam ein anderer und sprach: Feuer Gottes fiel vom Himmel und traf Schafe und Knechte und verzehrte sie, und ich allein bin entronnen, dass ich dir's ansagte. 17 Als der noch redete, kam einer und sprach: Die Chaldäer machten drei Abteilungen und fielen über die Kamele her und nahmen sie weg und erschlugen die Knechte mit der Schärfe des Schwerts, und ich allein bin entronnen, dass ich dir's ansagte. 18 Als der noch redete, kam einer und sprach: Deine Söhne und Töchter aßen und tranken im Hause ihres Bruders, des Erstgeborenen, 19 und siehe, da kam ein großer Wind von der Wüste her und stieß an die vier Ecken des Hauses; da fiel es auf die jungen Leute, dass sie starben, und ich allein bin entronnen, dass ich dir's ansagte.
20 Da stand Hiob auf und zerriss sein Kleid und schor sein Haupt und fiel auf die Erde und neigte sich tief 21 und sprach: Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt! – 22 In diesem allen sündigte Hiob nicht und tat nichts Törichtes wider Gott.

 

Liebe Gemeinde,

drei Worte fallen mir zu diesem Text ein: unsäglich, unglaublich, unmöglich. Und diese drei Worte geben dieser Predigt auch ihre Struktur.

1. Unsäglich

Unsäglich ist Leid, das über Hiob kommt. Er verliert seinen riesigen Besitz, seine Knechte werden erschlagen, ein Sturm tötet seine sieben Söhne und die drei Töchter. Und wenn wir noch ins zweite Kapitel des Buches schauen, wird alles noch schlimmer. Nachdem der Satan in einer ersten Runde Hiob nicht zum Abfall von Gott bewegen kann, bekommt er eine zweite Chance und Hiob wird zu all dem schon erlittenen nun auch noch mit Geschwüren von Kopf bis Fuß geplagt. Seine Frau ist am Ende ihrer Nerven und fordert ihn auf, seinen Glauben aufzugeben, aber Hiob bleibt Gott treu.

Wenn ich das so lese und mir bildlich vorstelle, dann mischen sich in meine Vorstellungen andere Bilder unsäglichen Leides. Bilder aus den Medien, aber auch Geschichten, die ich aus der Gemeinde oder dem familiären Umfeld kenne. Leid ist überall vorhanden, aber es ist oft sehr ungleich verteilt, einige trifft es härter und andere weniger. Wenn wir also diese Geschichte von Hiob hören, dann können wir alle mitreden, wir finden uns mit eigenen oder fremden Erfahrungen darin wieder, sind vielleicht auch froh, dass es uns nicht so unsäglich hart getroffen hat wie Hiob, der ja praktisch alles verloren hat: Besitz, Familie, Gesundheit... Und auch die Fragen und Zweifel, die zumindest die Frau von Hiob plagen, sind uns sicher nicht fremd. 

2. Unglaublich

Eine unglaublich schlimme Geschichte ist das. Noch unglaublicher ist für mich aber das, was hier von Gott erzählt wird. Manche von uns kennen die Szene seit langem. Unseren großen Dichter Goethe hat sie schon inspiriert und er hat die geniale Mephisto-Szene im Faust geschrieben. Vielleicht nehmen wir daher gar nicht so schnell wahr, was da eigentlich erzählt wird. Oder besser: wie uns Gott hier vor Augen gestellt wird. 

Gott auf einem Thron im Himmel hält Hof. Die Engel und auch der Satan sind zugegen. So weit okay. Schönes Bild, wir schmunzeln vielleicht ein wenig, weil es doch eine, naja, ich sag mal: etwas naiv wirkende Vorstellung ist. Aber was macht Gott denn dann?! Er läßt sich auf eine - soll ich sagen - Wette?! mit dem Satan ein. Gibt das Heil des unbescholtenen und gottesfürchtigen Hiob dran und denselbigen in die Hand des Widersachers. Nicht nur, das Hiob hier zum Spielball zweier überirdischer Wesen wird und infolge unsägliches Leid ertragen muss. Nein, das unglaubliche für mich ist, dass Gott sich darauf einlässt. Müsste er nicht eigentlich sagen: also der Hiob, der ist so fromm und gottesfürchtig, der hat es doch vor allen anderen verdient geschützt zu werden. Oder müßte er nicht viel eher sagen: nein, ich mache doch meine Geschöpfe nicht zum Spielball einer Wette! Unglaublich ist es, was Gott hier macht. Unglaublich ist dieser Gott.

Und dennoch steht die Geschichte so in der Bibel. Und ich frage mich: was für Erfahrungen haben die Menschen gemacht, die diese Geschichte aufgeschrieben haben? Und wo berührt sie Erfahrungen von Menschen bis auf den heutigen Tag - denn sonst wäre sie längst vergessen...

Wir Menschen suchen Antworten auf die Frage nach dem Leid. Und die Frage: Warum läßt Gott es zu? beschäftigt Menschen damals wie heute. Eine erster menschlicher Antwortversuch auf unsägliches Leid könnte von dieser Geschichte her so lauten: auch wenn wir Menschen leiden, wir fallen nicht aus Gottes Hand heraus, auch wenn es so auszusehen mag. Gott wendet sich nicht ab, geht nicht weg, sondern ist immer noch da. Und daraus folgerten Menschen zur Zeit des Alten Testamentes und sagten in dieser Geschichte weiter: das Leid ist eine Prüfung Gottes.

Das muss uns keineswegs befriedigen. Nur seien wir ehrlich: wenn es uns richtig dreckig geht, dann fangen auch wir an zu fragen und zu suchen. Dann fragen auch wir zum Beispiel: Womit hab ich das verdient? Was habe ich eigentlich verbrochen? Oder: Warum verhindert Gott nicht solch unsägliches Leid? Was hat das Leben eigentlich noch für einen Sinn?

Oftmals kann man die Antworten, die wir so auf das Leid finden, auf zwei Sätze reduzieren: Der Mensch ist selbst schuld dran und Gott ist gerecht. Oder: Es kann keinen gütigen Gott geben, der unsere Geschicke lenkt, wenn er so etwas zuläßt. 

Ich habe vor über zwanzig Jahren in meinem Studium in Marburg an einem Seminar über jüdische Theologie nach dem Holocaust teilgenommen. Das hat mich damals sehr beschäftigt und ich muss immer wieder mal daran denken, wenn ich mich mit dem Leiden in der Welt befasse oder befassen muss. In dem Buch "Wolkensäule und Feuerschein" kommen unterschiedliche jüdische Theologen zu Wort und versuchen eine Antwort auf die Frage zu finden, warum Gott den Holocaust zugelassen hat. Die Spannbreite ist dabei sehr groß. Ich weiß bis heute, dass mich neben anderen vor allem die Meinung von Menachem Immanuel Hartom sehr, sehr nachdenklich gemacht hat. Er schreibt:

Gott "bediente sich (...) des deutschen Volkes als Zuchtrute, um sein Volk schwer zu schlagen: Eben jener Staat, in dem (...) die Juden in alle Lebensbereiche des deutschen Volkes eingedrungen waren, in dem sie zum Höhepunkt ihrer Identifikation mit dem Landes ihres Aufenthaltes und zur Ableugnung ihres Landes gelangten, dies war der Staat, der ihnen auf extremste und grausamste Art in Erinnerung rief, dass sie - (...) trotz ihrer Leugnung der Ideen ihres Volkes, trotz ihrer Annahme einer fremden Religion, trotz der Opfer, die sie aufrichtig für das Land ihres Aufenthaltes brachten - ein Fremdkörper im Staat sind. (...) Wir müssen bekennen, daß es der Gerechtigkeit entsprochen hätte, hätte Gott sein Volk gänzlich vernichtet, weil es die Worte seiner Thora geleugnet hat." (Menachem Immanuel Hartom, "unserer Sünden wegen", in: Michael Brocke/Herbert Jochum (Hrsg.), Wolkensäule und Feuerschein. Jüdische Theologie des Holocaust, München 1982, S. 22f.) 

Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, wenn Sie diese Sätze hören. Mir jedenfalls läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken und ich wage es kaum, diese Sätze laut vorzulesen. Was mich diese und andere Texte in diesem Buch gelehrt haben, ist, auf gar keinen Fall, niemals voreilig und unbedachte Antworten auf die Frage zu geben, warum Gott solches Leiden - im allgemeinen und besonderen - zuläßt...

Dabei ist es oft die Verzweiflung, die solche Antworten gebiert. Schlimmer, als selbst schuld zu sein, schlimmer als den Glauben an Gott zu verlieren, ist offenbar - keine Antwort zu finden. Einfach stumm das Leiden ertragen zu müssen...

Damit bin ich auch schon bei dem dritten Leitwort dieser Predigt:

3. Unmöglich

Unmöglich ist es, eine Antwort zu geben, die immer und überall gültig ist. Dies hat mehrere Gründe.

a) Zum einen kennt die Bibel selbst verschiedene Antworten auf das Leid. Es gibt ja auch Offenbarung 21: Gott wird am Ende abwischen alle Tränen... Oder Paulus schreibt: Denen die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen (Römer 8,28). Und auch Hiob findet eine Antwort für sich und sagt: Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? (Hiob 2,10).

Woran könnte das liegen? Wieso gibt es so sehr unterschiedliche Antwortversuche auf die Frage nach dem Sinn des Leidens? Ich vermute, der Grund liegt darin, dass wir Menschen Leid sehr unterschiedlich empfinden und bearbeiten. Beim Thema Schmerz ist da ja bekannt, der eine kann Schmerzen besser ertragen als ein anderer. Leid und Schmerz - körperlicher und seelischer - hängen nun eng beieinander. Und was der eine als Leiden empfindet, ist für den anderen noch normal. Das hängt, so glaube ich, damit zusammen, dass wir alle unsere Vorstellungen von einem guten, gelingenden, glücklichen oder zumindest zufrieden machendem Leben im Kopf haben. Und diese Vorstellungen unterscheiden sich sehr stark, da sind wir uns sicher einig. Das hängt mit den Lebensumständen, mit dem Lebensalter und anderen Dingen zusammen. Und wir leiden dann, wenn uns Dinge widerfahren (oder wir sie auch selbst verschulden!), die uns von diesem Ideal unserer Lebens entfernen. Natürlich gibt es sicher Dinge, wo wir alle sagen würden, wenn ich ein Kind verliere oder meine Wohnung abbrennt oder ein Krieg ausbrechen würde, ein Wirbelsturm Voerde verwüsten würde, dann würden wir lalle leiden. Aber sicher auch da unterschiedlich leiden und auf das Geschehene reagieren! Und wer weiß, vielleicht findet sich auch dann jemand, der das gar nicht so schlimm fände, weil es ihm oder ihr einen unverhofften, aber lange ersehnten Neuanfang beschert. Für die meisten sicher schwer vorstellbar. Aber ich habe schon Menschen erlebt, die heilfroh waren, dass der Ehemann (oder die Ehefrau) endlich gestorben ist. Offen gibt das zwar keiner zu, aber...

Also, unmöglich eine immer gültige Antwort auf die Gründe des Leidens zu geben, weil das immer alles sehr, sehr  subjektiv ist.

b) Es gibt aber noch eine weitere Schwierigkeit. Eine, die erst in den letzten eins, zwei Jahrhunderten mehr und mehr aufgetreten ist. 

In der Theologiegeschichte wurde und wird unterschieden zwischen dem Bösen und dem Übel. Böses ist all das, was wir Menschen einander antun. Keine Frage, da gibt es unsäglich viel zu nennen. Und dafür können wir nicht Gott verantwortlich machen. Gut, wir könnten sagen, er hätte die Welt doch ohne die Möglichkeit des Leidens schaffen können. Vielleicht. Aber dann sähen wir Menschen auch anders aus, weil wir dann ohne Freiheit leben müßten. Haben wir Entscheidungsfreiheit, dann können wir uns auch entscheiden, dam anderen Böses anzutun und leider hat sich die Menschheit dafür entschieden. Umgekehrt kann man fragen, ob das was da theoretisch übrig bliebe noch die Bezeichnung "Mensch" verdienen würde. Aber müßig, darüber zu sinnieren. Keine Frage, wir Menschen können einander Böses antun und machen von dieser Möglichkeit reichlich Gebrauch.

Übel allerdings sind für die Theologen all die Dinge, die Leid über Menschen bringen, ohne dass der Mensch dafür verantwortlich ist: also Überschwemmungen, Krankheiten, Erdbeben, Wirbelstürme usw. Und vielleicht ahnen Sie schon, wo das Problem heute mehr und mehr liegt: Klimawandel, Genveränderungen, Vergiftung von Flüßen und Meeren... Es wird immer schwieriger, die Grenze zwischen Übel und Bösem zu ziehen. Was liegt schon in der Schöpfung drin an Übel, wo haben wir Menschen  unsere Finger mit im Spiel? Unstrittig allerdings, dass in unser Welt Dinge vorkommen, die schon von Anbeginn der Welt "eingebaut" sind und Leid über Menschen bringen. Von daher bleibt schon die Frage, warum Gott das so eingerichtet hat. Allerdings bleibt sie offen, auch wenn Geologen, Meteorologen oder Physiker da naturwissenschaftliche Erklärungen für viele Phänomene finden. Sie können sagen, warum geologisch Erdbeben nötig sind oder auch Stürme für das Wetter auf unserem Planeten unverzichtbar sind. Doch warum es MICH ein Erdbeben, ein Sturm trifft, diese Frage kann mir kein Physiker beantworten. Ist es dann Pech oder Zufall oder...? Unmöglich, darauf eine befriedigende Antwort zu finden.

Unsägliches Leid bei Hiob und anderen; eine unglaubliche Geschichte über Gott; unmöglich, wirklich umfassende Antworten zu finden - wenn Sie jetzt sagen, liebe Gemeinde, das ist aber ein eher unbefriedigendes Ende dieser Predigt. Was mache ich denn jetzt damit? Und vor allem: Was mache ich mit meinem Leid oder dem, das ich bei anderen wahrnehme? Bin ich dazu verdammt, die Hände in den Schoß zu legen, zu resignieren, weil es keine endgültigen, objektiven Antworten gibt? Nein, liebe Gemeinde, dass sind wir nicht. Auch da können wir uns von Hiob leiten lassen. Er streitet und er betet. Aber darüber wollen wir dann an den nächsten beiden Sonntagen miteinander nachdenken.

Amen.